Zusammenrücken während Corona

Die Coronakrise: Sie war und ist eine merkwürdige Zeit für das Debattieren gewesen. Jetzt wo der zweite Quasi-Lockdown ansteht, wird es Zeit auf den ersten zurückzublicken: Sven Jentzsch über einige leere Monate, aber auch viele aufmunternde Momente.


Lange, lange Zeit gab es hier keine Artikel mehr. Fast ein Jahr lang keine Berichte über Turniere, Showdebatten oder neue Erstis.

Dabei hatte die Debattier-Saison 2020/21 schön begonnen: Das Nikolausturnier in Münster, mit Glühwein und netten Leuten. Wo unsere Erstis Sammy und Yara einen starken Eindruck hinterließen und wir sowohl das Iron-Man-, als auch das ProAm-Turnier gewannen. Unsere traditionelle Weihnachtsdebatte mit noch mehr Glühwein (Video), sowie die anschließende Einweihung des gemeinsam renovierten “SK-Dachbodens” in der Gartenstraße. Schließlich der traditionelle SK-Cup im Januar, komplett vegan bekocht durch Clara. Und mit einem Streitkultur-Finale (Video) und -Erfolg am Ende. Schon ging der Blick weiter auf die kommenden Turniere: Längst hatten sich Teams gebildet für die Campus-Debatte in Münster, die ersten trainierten für die Süddeutsche und die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft im Sommer.

Was wir nicht ahnten: Wie weit weg all dies nur Wochen später wirken würde. Die vollen Hörsäle, die Umarmungen, die Partys. Zunächst waren es nur einige Nachrichten unter vielen in der Zeitung, über einen Krankheitsausbruch in China. Die Nachrichten wanderten weiter, von China nach Italien, von Italien nach Deutschland. Vielleicht sensibilisiert das Debattieren für die Geschehnisse dieser Welt– aber ganz sicher begriffen auch bei uns die wenigsten den Ernst der Lage frühzeitig. Selbst später, als der Debattierverband VDCH Hygienemaßnahmen für Turniere beschloss, reagierten wir zwar mit Verständnis, aber auch mit etwas Humor. Ein Humor, der uns noch ein paar Wochen später verging: Zwei Personen aus dem Club waren in vorsorglicher Quarantäne. Die Uni schloss komplett. Die Panik-Hamsterkäufe in den Tübinger Supermärkten begannen. Alle machten sich plötzlich Sorgen um sich, Freunde und Verwandte.

An dieser Stelle muss man betonen, dass wir als junge Menschen immer noch in einer vergleichsweise privilegierten Lage waren: Keiner von uns erkrankte an Covid-19 oder musste gar auf der Intensivstation um sein Leben bangen. Keiner von uns – bist auf die Medizin-Studierenden in Wartestellung – musste Überstunden in den Krankenhäusern leisten. Keiner von uns verlor die berufliche Existenz.

Was wir mit vielen anderen Menschen in Deutschland teilten: Die Einsamkeit des Quasi-Lockdowns. Alleine in der Wohnung, die Uni mittelfristig komplett abgesagt, alle Termine gestrichen. Und in genau diesem Moment wuchs der Verein doch wieder zusammen. Und zeigte vielleicht gerade darin seine Stärke:

  • Wir begannen, uns über WhatsApp auszutauschen und Ressourcen zu teilen: Wie macht man zuhause alleine Sporteinheiten? Wie hält man es mental in der Isolation aus? Und wo in Tübingen gibt es zur Hölle noch Toilettenpapier zu kaufen?
  • Den SK-Mitgliedern in Quarantäne lieferten wir Einkäufe und Lesestoff nach Hause.
  • Dazu entstanden auf Spotify die “Quaratunes“– eine Playlist, zu der verschiedenste Leute verschiedenste Songs hinzufügten. Und die schnell bewies, das bei uns vom Beatles-, über den ESC- bis hin zum Metal-Fan alles vertreten ist.
  • Bald brachten wir den Debattierbetrieb als Zeitvertreib zurück– natürlich online über Zoom. Dabei entdeckten wir ganz unerwartete Vorteile: Plötzlich war es für ehemalige Tübinger möglich, auch von Mainz oder Berlin aus an den Debatten teilzunehmen. Auf der einen Seite wollten Teile von uns jetzt als Debattierverein das Exempel setzen, dass man als Gesellschaft in einer solchen Zeit nicht verstummen muss, dass wir uns als Demokratie gemeinsam und öffentlich Gedanken machen sollen, wie wir mit den schwer abzuwägenden Fragen dieser Krise umzugehen haben. Auf der anderen Seite wollten viele bei uns gerade das nicht: Debattieren über die sozialen Folgen von Corona. So paradox es klingt: Gerade die Debatte über andere politische, teilweise sogar spaßige Themen wurde zu einer Art Ablenkung von der Covid-Realität.
  • Jetzt, wo wir aber einen Zoom-Account für die Debatten hatten, wurden damit auch andere Aktionen möglich. So verabredeten wir uns einfach nur für Gesellschafts- und Spielabende. Justus, Lennart und Co. reaktivierten die alten Pubquiz-Entwürfe aus “Bierkeller”-Zeiten. Zudem wurde Quiplash bald zu einem Dauerbrenner nach jeder Debatte und offenbarte den dunklen Humor so manchen vermeintlich unauffällig-harmlosen SK-Mitglieds.
  • Weitaus ernster war da schon die Gruppe, die sich fortan über Zoom zu Produktivitäts-Sitzungen verabredete. Nach dem Prinzip: “Wenn nicht mehr die Nachbarn in der Bibliothek oder die Abgabefrist im Seminar Prokastination verhindern, dann schauen wir uns halt gegenseitig über die Schulter.”
  • Bald kam eine weitere Gruppe dazu, die sich zu Kochsitzungen traf. Besser gesagt trafen hier die Koch-Cracks der Streitkultur (Samuel, Clara) auf die vom Wegfall der Mensa heillos Überforderten (an dieser Stelle anonym bleibend). Um gemeinsam Pastateig zu kneten und Bullshit-Floskeln zu Wein-Verköstigungen auszutauschen.
  • Weitere kreative Energie floss in eine Aktion, die schon vor der Coronazeit gestartet war: Die Auswahl eines Vereinsmaskottchens. Welches Tier eignet sich am meisten? Wie soll es heißen? Zahlreiche Einsendungen, zwei Abstimmungsrunden und am Ende sogar 3D-Modellarbeit waren die Folge.
  • Am ambitioniertesten war aber vielleicht das Tandem-Projekt. Die Erfahrenen und weniger Erfahrenen in der Streitkultur taten sich zusammen, um paarweise gemeinsam zu üben. “Eltern” des Projekts waren Dominik und Chiara, die es mit viel Hingabe betreuten. Und damit der internen Erfahrungsweitergabe einen großen Dienst taten.
  • Das Ganze wurde am Ende ergänzt durch eine Input-Reihe: Wer auch immer sich in einem Spezialgebiet (Rhetorik, Internationale Beziehungen, Wirtschaft) auskannte, gab das vor dem Do-Training in kleinen Vorträgen weiter. Viele davon landeten (und landen immer noch) später auf YouTube, um sie der ganzen Szene zur Verfügung zu stellen.

Dieser letzte Aspekt ist ein gutes Stichwort: Denn nicht nur die Streitkultur, auch das ganze Debateland erwachte sukzessive wieder zum Leben. Die Pubquizze wanderten von der Streitkultur weiter zum VDCH, der sie szeneweit ausrichtete. Immer wieder mit Streitkultur-Nerds am Start. Die Heidelberger planten unabhängig von uns ein noch größeres YouTube-Projekt, die HeiDebate-Academy. Die ersten Online-Turniere gingen an den Start: Das Berlin Online IV, das HeidelB@m, schließlich sogar die DOD-Liga. Letztere wurde zu einer super Übungsfläche für unsere aus dem Tandem-Projekt entstandenen ProAms– am Ende wurden wir knapp Zweiter hinter einem starken Debattierclub Potsdam. Wenig später brachten Samuel und Bea die Interventions- und Sanktionsdebatten (lieber nicht als “IS-Debatten” abzukürzen) an den den Start: Das wahrscheinlich erste Online-Turnier über Internationale Beziehungen.

Überspielen oder ausblenden konnte das die Coronakrise nicht. Sie war immer noch für viele Debattierer im Speziellen und viele Debattierclubs im Allgemeinen (gerade diejenigen an kleineren Unis) eine schwierige, bedrohliche Zeit.

Aber zumindest für Eines sorgte die ganze Kreativität und die gemeinsamen Initiativen: Dass wir, als wir uns im Sommer wieder zeitweise öffnen mussten oder jetzt, wo der nächste Quasi-Lockdown kommt, nicht von Null anfangen müssen. Und vielleicht war das gemeinsame SK-Frühjahr am Ende auch eine gute Grundlage für die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2020. Aber das ist eine andere Geschichte..