WUDC: Tübingen ist Vize-Weltmeister

Die World Universites Debating Championship (WUDC) sind mit ca. 1200 Teilnehmern eines der größten jährlich stattfindenden studentischen Events und der Höhepunkt der Debattiersaison. Für 9 Tage über stritten Teams aus 60 Ländern um den Titel des Weltmeisters. Darunter auch ein Team der Streitkultur.

27.12.2013, Konrad und Nikos stehen morgens am Frankfurter Flughafen, Gepäck in der Hand jedoch kein Flugticket. Wir fliegen zusammen mit Henrik, der bei Lufthansa Consulting arbeitet, “stand by”. Im Großen und Ganzen bedeutet das, dass man den Daumen rausstreckt und hofft, dass im gewünschten Flugzeug noch ein freier Platz vorhanden ist. Auf dem Hinflug haben wir Glück und räkeln uns 10 Stunden lang gemütlich in der Business Class auf dem Flug nach Chennai. Der Rückflug erfolgt dafür auf einem Klappsitz, doch dazu später mehr. In Indien angekommen werden wir direkt von einem großen Schild „Rajalakshmi Institutions hosts Chennai Worlds“ über dem Gepäckband gegrüßt. Wir sammeln unsere Siebensachen und pilgern in einer Traube von Menschen zu einem sehr indisch aussehenden Bus. Er fährt uns zu einem Hotel, wo wir die nächsten 2 Stunden in der Lobby verbringen, während die Orga versucht, den wartenden Teilnehmern ein Zimmer zu organisieren. Statt dem ursprünglich einen geplanten Hotel, wurden Teilnehmer in insgesamt vier verschiedenen Etablissements untergebracht. Unseres kam erst in dieser Nacht hinzu, nachdem man festgestellt hatte, dass in den anderen nicht genügend Betten zur Verfügung standen. Nachts um 4 lokaler Zeit fallen wir schließlich ins Bett, nur um kurze Zeit später zum Frühstück erneut herunterzutaumeln. Das Frühstück ist reichhaltig, doch noch kann keiner von uns beiden sich so richtig darauf konzentrieren. Schnell zurück ins Bett also. Gegen Mittag stehen wir dann endgültig auf, der Tag beginnt mit verschiedenen Briefings und Willkommensreden und wir unterhalten uns schon mal ausgiebig mit Freund und Konkurrenz. Chennai liegt in Südindien und da ist es netterweise zu dieser Jahreszeit mit 25-30 Grad angenehm warm und sehr trocken. Das anschließende Buffet findet, wie alle anderen Abendveranstaltungen auch, im Freien statt. Es gibt zum ersten – und leider zumindest in naher Zukunft letzten Mal – traditionelle indische Kost. Die restlichen Abende werden mit Fast- und Fingerfood bestritten. Am Abend findet die erste Party statt – doch während die anderen feiern, sind wir gezwungen, von unserem ursprünglichen Hotel in ein Anderes umzuziehen.

Am nächsten Morgen werden wir, zumindest theoretisch, von einem sehr indischen Schulbus vom Hotel abgeholt. De facto wurde unser Hotel bei der Einplanung der Busroute vergessen, unser Bus kommt also eine Stunde später, was uns ein erneut sehr reichhaltiges Frühstück beschert. Mit vollem Bauch steigen wir in den Bus ein, der sich mit gefühlten 5 km/h durch den unübersichtlichen indischen Verkehr schlängelt. Überall hupen Autos, Motorräder und Rikschafahrer. Fahrbahnmarkierungen gibt es keine und die Straße selbst ist mehr eine grobe Richtlinie als ein verbindliches Konzept. Nach gut einer Stunde kommen wir im Rajalakshmi College, außerhalb von Chennai, an. Die meisten sitzen draußen mit Coladosen in der Hand, schwatzen, lachen, spielen Karten und warten auf den Beginn der ersten Vorrunde. Die Stimmung ist entspannt und bei warmen Sonnenschein stört sich auch niemand an der Verspätung. Dann beginnt der Draw, Positionen und Themen werden verkündet. Wir sitzen immer noch im Freien und starren gespannt auf die Bildschirme. Eine Übersicht aller Themen findet sich auf http://goo.gl/SwekH9. Am Anfang haben wir deutliche Schwierigkeiten mit der Umstellung auf Englisch und müssen uns erst langsam an fremde Akzente und eigene sprachliche Beschränkungen gewöhnen. Am Ende von Tag 1 haben wir 4 Punkte. Den Abend verbringen wir in fröhlicher Runde, eine richtige Feier mag man es noch nicht nennen. Zur Beschreibung der indischen Partykultur ist ein legislativer Exkurs vonnöten: Tamil Nadu, der Bundesstaat in dem Chennai liegt, verabschiedete kurz vor Beginn des Turniers ein Gesetz, das den Alkoholverkauf nach 22 Uhr verbietet. Folgerichtig wurden Partys in der Regel zwischen 23 und 24 aufgelöst, was insofern schade war, als sie für gewöhnlich wegen der Verspätungen im Zeitplan nicht vor 21 Uhr begannen.

Der zweite Vorrundentag läuft für uns nicht gut, Sprache, Themen, Positionen und überraschende Jurorenentscheidungen machen es uns schwer. Am Ende von Tag zwei haben wir mit sechs Punkten deutlich weniger als geplant, befinden uns aber immer noch in Reichweite der KO-Runden. Allerdings durften wir uns glücklich schätzen, überhaupt zu debattieren. Aufgrund eines Problems mit der Erstattung von Fahrtkosten für Juroren drohten viele Juroren am zweiten Vorrundentag mit einem Generalstreik. Das hätte einen vollständigen Stillstands des Turniers bedeutet und wäre ein Novum in der Geschichte der Weltmeisterschaften. Ausführliche Schilderungen des gesamten organisatorischen Dramas finden sich auf http://goo.gl/SwekH9. Hier nur soviel: Das Turnier kann ohne Streik seinen mehr oder weniger normalen Gang weiter gehen, nachdem die meisten finanziellen Schwierigkeiten zumindest fürs Erste gelöst werden. Neben angedrohten Jurorenstreiks trägt auch das Abendprogramm zur Verwunderung aller Teilnehmer bei: Ursprünglich für diesen Tag geplant war die Women’s Night, die auf frauenpolitische Themen aufmerksam machen und Geld für wohltätige Zwecke sammeln sollte. Anscheinend „für die Männer“, war zur gleichen Zeit eine Motorrad-Show geplant. Die Women’s Night musste an diesem Abend verschoben werden, stattdessen gab es also nur Motorräder. Man muss die Show durchaus als unterhaltsam bezeichnen, wir haben lange nicht mehr so herzlich gelacht. Das lag allerdings weniger an den überragenden Künsten der indischen Fahrer. Erheiternd war mehr die Absurdität der Situation, einem Pulk Heranwachsender dabei zuzugucken, wie sie wiederholt mit Motorrädern von links nach rechts und von rechts nach links fahren.

Der nächste und letzte Vorrundentag läuft deutlich besser für uns. Wir haben in allen Debatten ein gutes Gefühl, auch wenn am letzten Tag die Punkte nicht sofort genannt werden, um die Spannung hochzuhalten. Kurz vor Mitternacht werden die Breaks, d.h. die Einzüge in die Finalrunden verkündet. Nach nur 6 Punkten nach 2 Tagen breaken wir nach einer rasanten Aufholjagd mit 13 Punkten in der Kategorie English as a foreign language (EFL). Jeder setzt ein Partyhütchen auf und zum ersten Mal gibt es an dem Abend in Chennai eine Party, die ihren Namen verdient. Wir feiern unseren Einzug in die Finalrunden und den Beginn des neuen Jahrs. Um zwei Uhr jedoch wird der Festsaal des Hotels Taj Coromandel rabiat geleert und gesäubert und etwa 800 angetrunkene Menschen unsanft nach draußen geschoben. Die Party verlagert sich auf verschiedene Zimmer, wir Tübinger finden uns erst stehend in einer (vollen) Berliner Badewanne wieder und dann wild hopsend auf Bett und Couch desselben Zimmers. Gegen fünf beschließen wir, das mit dem Schlafengehen auf später zu verschieben und begeben uns stattdessen in Richtung des (fremden) Hotelpools. Nach einem ausgiebigen Bad mit anschließendem Frühstück begeben wir uns zurück ins eigene Hotel um erneut und noch ausgiebiger zu frühstücken. Die erste Hälfte des jungen Tages verbringen wir mit Schlafen, die zweite, um die Stadt ein wenig zu besichtigen. Chennai hat 7 Millionen Einwohner und alle Problemen die damit einhergehen. Es ist laut, voll und stinkt bisweilen beachtlich, da Müll gemeinhin in die Landschaft geworfen oder direkt am Straßenrand verbrannt wird. Mit einer Autorikscha fahren wir los ins Getümmel, gehen lokal essen und schlendern durch die verwinkelten Gassen und Sträßchen Chennais. Am interessantesten ist der Strand, über den wir nach Einbruch der Dunkelheit flanieren. Zusammen mit etwa 50.000 Indern finden wir uns inmitten eines kleinen Volksfestes wieder. Überall sitzen Großfamilien im Kreis und spielen Faules Ei, es gibt Kettenkarussells und eine Vielzahl an Imbissbuden um die hungrigen Massen zu versorgen. Wir setzen uns für 25ct pro Person auf ein kleines Kinderkarussel, auf dem erstaunlich viele andere Erwachsene und erstaunlich wenige Kinder sitzen. Das Gefährt, das von außen so aussieht, als würde es schon im Stehen auseinanderfallen, setzt sich, von einem Dieselmotor betrieben, in Bewegung. In rasantem Tempo heben sich die kleinen, von dünnen rostigen Stangen gehaltenen, Pferdchen beinahe in die Waagrechte und alles johlt und kreischt. Anschließend schießen wir mit einem Luftgewehr auf Luftballons, kaufen uns heißen Mais in Pappbechern und setzen unseren Spaziergang fort. Dabei fallen wir auf, wie bunte Hunde, und alle paar Augenblicke kommen Kinder auf uns zugerannt, die entweder ein Foto mit uns wollen, oder doch zumindest unsere Hände schütteln und uns breit grinsend ein frohes neues Jahr wünschen.

Am nächsten Tag findet das Halbfinale statt aus dem wir siegreich hervorgehen. Am Abend soll die berühmtberüchtigte Yakka-Party steigen (Yakka ist eine Mischung aus Wodka, Zitronensaft und Zucker, die traditionell von der südafrikanischen Delegation fässerweise hergestellt wird), doch aufgrund der örtlichen Gesetzgebung fällt auch diese deutlich zahmer aus, als es zum Beispiel das letzte mal bei der Weltmeisterschaft in Berlin der Fall war.

Der folgende Tag ist bereits der letzte dieser Weltmeisterschaft. Gestriegelt und im Anzug begeben wir uns zum Finale um den EFL-Weltmeisterschaftstitel. Das Thema lautet: „This House believes that multinational companies should be liable for any human rights abuses that occur anywhere in their supply chain“ Während das Team der BDU mit Kai und Dessi den ESL-Weltmeistertitel holen, müssen wir uns als eröffnende Regierung gegen die eröffnende Opposition geschlagen geben. Ein kleiner Trost: der Weltmeister-“pokal“ besteht genauso aus billigem Plastik wie unsere eigene Trophäe. Damit geht für uns unsere zweite Weltmeisterschaft zu Ende. Nach kurzer anfänglicher Enttäuschung kommen wir zum Schluss, dass man auch über den Vizemeistertitel glücklich sein kann.

Die nächsten Tage verbringen wir zusammen mit Henrik und Manuel in der Nähe einer Stadt namens Mammalapuram, 60 km südlich von Chennai. Dort gibt es ein Strandresort mit großem Pool, Minibar und einem Gitarrero, der abends zu einem Lagerfeuer Lieder singt. Zwei Abende in Folge verbringen wir amüsiert damit, dem Hotelangestellten beim Feuer machen zuzugucken. Er macht es folgendermaßen: Zuerst baut er einen adrett aussehenden, aber völlig untauglichen Holzturm. Dann ersetzt er rasch mangelnde Funktionalität des Holzturms durch reichlich Spiritus und zündet das ganze an. Die nächste Zeit verbringt er wachsam lauernd neben dem Feuer und kippt regelmäßig Spiritus nach, bis sich langsam etwas Feuerähnliches entwickelt. Das Resort befindet sich etwa 3 Kilometer entfernt der Stadt, die man entlang eines wunderschönen Sandstrandes gut zu Fuß überwinden kann. Dort wird man mit einem bunten Treiben von Menschen empfangen, darunter einige Touristen und viele Verkäufer und Produzenten von Steinfiguren verschiedenster Größe. Vom tonnenschweren Steinphallus bis zu kleinen Specksteinschildkröten lässt sich dort alles finden, was ein Mitbringselsuchender Indienfahrer sich wünschen kann. Darüber hinaus gibt es in der Stadt verschiedene jahrhundertalte Steintempel, -monumente und -figuren zu besichtigen, die den Tag über von spielenden indischen Kindern und Ziegen bevölkert werden. Am Ende unserer Reise sehen wir nun also doch noch ein wenig von der indischen Kultur, die die vergangenen Tage über hinter großen Debattiermauern versteckt blieb. Am Abend des 7.01. fahren wir mit dem Taxi zurück nach Chennai. Am Flughafen erfahren wir, dass in unserem Flug kein Platz mehr ist. Henrik lässt daraufhin beim Kapitän fragen, ob man nicht auf den sogennanten Jump Seats Platz nehmen könnte, Klappsitzen, die vor allem für die Crew gedacht sind. Wir nehmen mehr überhaupt als bequem im Küchenraum des Flugzeugs Platz und fliegen los. Schlafen ist auf diesen Sitzen schwierig, dafür wird uns zum Anlass von Nikos’ Geburtstag von einer freundlichen Stewardess ein Glässchen Champagner vorbeigebracht. Völlig gerädert, aber zufrieden mit unserer Reise, kommen wir in Frankfurt an. Kuchen wartet.

 

 

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